Das lateinische Wort «educare» bedeutet «auf-, erziehen, ernähren» und im weiteren Sinne «ausbilden, unterrichten»1. Etymologisch leitet sich das Wort von der Wurzel «dux» ab, dem Führer, jenem der Reisende anführt, dem Hirten oder im militärischen Bereich dem General, bevor es später zu einem Adelstitel wurde2. Das Wort «Pädagogik» ist griechischen Ursprungs und leitet sich von dem Wort «païs», «Kind», und dem Verb «agô» ab, was «führen, treiben, vor sich hertreiben (Vieh)», aber auch «seine Zeit, sein Leben verbringen» bedeutet.3
Das Bewusstsein für die Bedeutung von Bildung ist also nicht erst seit gestern vorhanden. Die Schule wurde bereits in den Anfängen der athenischen Demokratie von Solon im Jahr 594 v. Chr. reglementiert und Bildung für alle einige Jahrzehnte später eingeführt4. Der Lehrplan umfasste damals neben dem Studium der Sprache und der Rhetorik (die Kunst, gut zu reden und durch Worte zu überzeugen) auch Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie, später kam noch Philosophie hinzu.5
Im XVI. Jahrhundert, als die Renaissance den Menschen dazu aufforderte Wissen zu entdecken und sich so viel wie möglich zu bilden, widmete Montaigne einen seiner Essays der Frage der Erziehung und suchte nach der besten Art und Weise ein Kind zu erziehen: nicht indem man es Daten auswendig lernen lässt, sondern indem man es damit experimentieren lässt und es autonom macht, indem man es lehrt, zu argumentieren und den richtigen Weg zu erkennen. Er schreibt: «Man hört nicht auf uns in die Ohren zu schreien, als würde man in einen Trichter giessen, und unsere Aufgabe besteht lediglich darin das zu wiederholen, was man uns gesagt hat. Ich möchte, dass er [der Lehrer] diesen Punkt korrigiert und von Anfang an je nach Grösse der Seele, die er in den Händen hat, damit beginnt sie auf den Plan zu rufen, sie die Dinge ertasten und sie von sich aus wählen und unterscheiden zu lassen; manchmal öffnet er ihr einen Weg, manchmal lässt er sie ihn öffnen. Ich will nicht, dass er allein denkt und spricht, ich will, dass er zuhört, wenn der Schüler seinerseits spricht.»6
Diese Ideen wurden von den Philosophen der Aufklärung in ganz Europa aufgegriffen und weiterentwickelt, wobei sie die Notwendigkeit des selbstständigen Denkens betonten. «Sapere aude7! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.», schrieb Immanuel Kant im Jahr 17848. Man könnte dies mit Sokrates’ Mäeutik vergleichen, die den Einzelnen durch Fragen dazu bringt, seine eigene Wahrheit selbst herauszufinden.
Sich seines eigenen Verständnisses zu bedienen, ist daher einer der Grundpfeiler der Bildung. Der Philosoph und Humanist L. Ron Hubbard schrieb in diesem Zusammenhang: «Wenn es irgendeine Wahrheit zu finden gibt, dann sind Sie das. Wenn es irgendeine Wahrheit zu wissen gibt, dann werden Sie es sein, die sie wissen. Und darüber hinaus und abgesehen davon gibt es keine Wahrheit. [...] Nun, es gibt keine Wahrheit in der Masse der Dinge. Es gibt keine Wahrheit in Moralkodizes. Dort findet man keine Wahrheit, lediglich Übereinstimmungen. Aber letztendlich kann man Wahrheit finden und es gibt einen Weg zur Wahrheit. Diese tragen Sie in sich und jedes Mal, wenn Sie einen Menschen anschauen, sehen Sie sie in ihm.»9
Somit ist Bildung wichtig, zum einen für die Entwicklung des Individuums selbst zum anderen aber auch, weil sie zur Existenz und Erhaltung einer Kultur beiträgt. Darauf wiesen auch die Philosophen der Aufklärung hin, wie Condorcet, der die Vorteile der Kultur optimistisch pries: «Es ist nicht so schimärisch, wie es auf den ersten Blick scheint, zu glauben, dass die Kultur die Generationen selbst verbessern kann und dass die Vervollkommnung der Fähigkeiten von Individuen auf ihre Nachkommen übertragbar ist. [...] Wenn die undefinierte Vervollkommnung unserer Spezies, wie ich glaube, ein allgemeines Naturgesetz ist, darf sich der Mensch nicht als ein begrenztes Wesen mit einer vorübergehenden und isolierten Existenz betrachten, die dazu bestimmt ist zu verschwinden nach einem Wechselspiel von Glück und Unglück für ihn selbst, von Gut und Böse für diejenigen, die der Zufall in seine Nähe gebracht hat. Er wird zu einem aktiven Teil des grossen Ganzen und zum Mitwirkenden an einem ewigen Werk. In einem Dasein für einen Augenblick, auf einem Punkt des Raumes, kann er durch seine Arbeit alle Orte umfassen, sich mit allen Jahrhunderten verbinden und noch lange genug wirken, nachdem sein Andenken von der Erde verschwunden ist.»10
Kultur ist aber gerade das, was eine Zivilisation am Leben erhält, sie ist die Grundlage und das Wesen des Menschen: «Es würde Sie zum Beispiel heute erstaunen», schreibt L. Ron Hubbard, «dass es Kulturformen auf der ganzen Welt gibt, die in ihrer Schönheit erstaunlich sind, die seit vielen Jahrhunderten immer noch überleben und so weiter. Jemand hilft ihnen dabei. Und sie sind wirklich das Einzige, was von einem ganzen blühenden Volk übrig geblieben ist – diese Formen der Kunst sind immer noch da, und praktisch nichts sonst.»11
In der Tat gilt «Der Tod einer Zivilisation gründet sich auf ihr angesammeltes Nichtverstehen – Nichtwissen – Ignorieren – und das Versagen, die Situation zu begreifen.»12, während im Gegensatz dazu gilt «Eine Kultur wird einzig und allein durch Ausbildung zusammengehalten. Egal, ob diese Ausbildung nun durch Erfahrung oder durch Unterricht zustande kommt, eine Kultur als Ganzes ist die Summe ihrer Ausbildung.»13 Deshalb ist es heutzutage so wichtig, Kindern den Zugang zu einer vielfältigen Bildung zu ermöglichen und der Kultur die Bedeutung beizumessen, die sie haben sollte. Bénédicte Gandois (Übersetzung/Redaktion: Doris Fattinger)
1 «educo, educare», Lateinisch-Französisches Wörterbuch, de.pons.com 2 Quelle: Les mots latins (Lateinische Wörter), F. Martin, Hachette 3 Quelle: Les mots grecs (Griechische Wörter), F. Martin, Hachette 4 Quelle: Dictionnaire de l’Antiquité (Wörterbuch der Antike) , M. C. Howatson, éditions Robert Laffont, article «éducation» 5 Dictionnaire de l’Académie française (Wörterbuch der Französischen Akademie), 9e édition 6 Montaigne, Essays, Buch I, Kapitel 26, Übersetzung ins moderne Französisch von Bruno Roger-Vasselin, deutsche Übersetzung mittels DeepL. Originaltext : «On ne cesse de criailler à nos oreilles, comme qui verseroit dans un antonnoir, & nostre charge ce n’est que redire ce qu’on nous a dict. je voudrois qu’il corrigeast cette partie : & que de belle arrivée, selon la portée de l’ame, qu’il a en main, il commençast à la mettre sur la montre, luy faisant gouster les choses, les choisir, & discerner d’elle mesme. Quelquefois luy ouvrant chemin, quelquefois le luy laissant ouvrir. Je ne veux pas qu’il invente, & parle seul, je veux qu’il escoute son disciple parler à son tour.» 7 wörtlich: «Wage zu wissen!» 8 «Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmüdigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines andern zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschliessung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist als der Wahlspruch der Aufklärung.» Immanuel Kant, Was ist Aufklärung? 9 L. Ron Hubbard, Der Weg zur Wahrheit, Vortrag, gehalten am 1. November 1962, Sammlung «Die Klassiker» 10 Condorcet, Premier mémoire sur l’instruction publique, 1792, in Oeuvres, Editions Arago, 1847, I, VII, S. 182-183, deutsche Übersetzung mittels DeepL 11 L. Ron Hubbard, Die Verwendung und die Zukunft der Scientology, Vortrag vom 3. Oktober 1953 12 L. Ron Hubbard, Studieren: Einschätzung von Information, Vortrag vom 11. August 1964 13 L. Ron Hubbard, Studieren und Ausbildung, Vortrag vom 13. August 1964
Bénédicte Gandois - Doris Frattinger - Manuela Contucci