Das neue Erbrecht ist am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten. Hier bietet sich die Gelegenheit, nach zehn Monaten Praxis eine erste Bestandsaufnahme zu machen. Zuvor folgt ein kurzer Überblick über die wichtigsten Neuerungen seit dem 1. Januar 2023:
- Der Pflichtteil* der Nachkommen wird von drei Vierteln auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils gesenkt. So haben die Kinder verheirateter Erblasser Anspruch auf einen Pflichtteil von 1/4 statt bisher 3/8. Der verfügbare Teil, über den der Erblasser frei verfügen kann, wurde von 3/8 auf 1/2 des Nachlasses erhöht. - Der Vater und die Mutter des Erblassers verlieren ihre Eigenschaft als pflichtteilsberechtigte Erben, bleiben aber gesetzliche Erben*. - Der Pflichtteil des Ehepartners bleibt unverändert und beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils.
Das neue Recht hat den Pflichtteil der Kinder reduziert und den der Eltern abgeschafft. Es bietet Ihnen somit viel mehr Freiheit bei der Verfügung über Ihr Vermögen. Um diesen neuen Handlungsspielraum nutzen zu können, müssen Sie jedoch unbedingt ein Testament verfassen. Ansonsten regeln die Bestimmungen des Zivilgesetzbuches den Kreis der Erben und ihre gesetzlichen Anteile. Die Planung des Nachlasses ist jedoch keine einfache Sache und hängt von vielen Faktoren ab (Zusammensetzung der Familie, Form des Vermögens, Bedürfnisse des Ehe- oder Lebenspartners), was den Rat eines Fachmanns erfordert, insbesondere wenn Immobilien oder ein Unternehmen auf dem Spiel stehen. Schätzungen zufolge haben nur 30% der Schweizerinnen und Schweizer Vorkehrungen für ihre Nachlassplanung getroffen, und wenn ein Testament erstellt wurde, stellt man oft fest, dass dieses nicht an das neue Recht angepasst wurde.
Bei einer Ehe oder einer eingetragenen Partnerschaft gilt das Güterrecht vor dem Erbrecht. Es ist möglich, bestimmte Vorkehrungen zu treffen, um seine Ehefrau oder seinen Ehemann im Erbfall stärker zu begünstigen. Durch einen Ehevertrag ist es beispielsweise möglich, sich gegenseitig den gesamten während der Ehe erwirtschafteten Gewinn zuzuweisen (anstelle der Hälfte der Errungenschaft). In diesem Fall ist es wichtig zu wissen, dass der Pflichtteil der nicht gemeinsamen Kinder der Ehegatten geschützt ist. Wenn ihr Pflichtteil verletzt wird, haben sie das Recht, eine Herabsetzung des Ehevertrags oder der Gütervereinbarung zu erwirken.
Ehegatten können testamentarisch festlegen, dass sie sich gegenseitig ein Nutzungsrecht an dem gesamten Erbteil zuweisen, der den gemeinsamen Kindern zusteht. Darüber hinaus können sie ihrem Ehepartner nun die Hälfte des Nachlasses als volles Eigentum zuweisen (vor der Revision war es ein Viertel). Die Zuweisung des Nutzungsrechts am Familienhaus ermöglicht dem Ehepartner zum Beispiel, dort bis an sein Lebensende friedlich weiterzuleben. Aber Vorsicht: Der Ehepartner mit Nutzungsrecht muss in der Regel die Steuern, Gebühren und eventuelle Hypothekenschulden für das Gebäude tragen, sodass seine finanzielle Leistungsfähigkeit sorgfältig geprüft werden muss.
Das neue Recht enthält immer noch keine Regeln für den Schutz von Konkubinatspartnern im Todesfall. Konkubinatspartner sollten daher unbedingt ein Testament erstellen, wenn sie sich in ihrem Nachlass begünstigen wollen, jedoch dabei die Erbschaftssteuer im Auge behalten, die je nach Kanton besonders hoch sein kann.
Stirbt ein Ehepartner, während ein Scheidungsverfahren läuft, verliert der überlebende Ehepartner seine pflichtteilsberechtigtes Erbe, wenn 1) das Verfahren auf gemeinsamen Antrag der Ehegatten eingeleitet oder fortgesetzt wurde oder 2) die Ehegatten zwei Jahre lang getrennt gelebt haben. Aber Achtung: Das Recht auf den Erbteil des Ehepartners bleibt bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils bestehen. Das bedeutet: Wenn man seinen zukünftigen Ex-Ehepartner von seinem Nachlass ausschliessen möchte, muss man dies ausdrücklich in einem Testament festlegen.
Anstelle eines Testaments kann man bei einem Notar auch einen Erbvertrag aufsetzen. Dabei handelt es sich um einen notariell beurkundeten Vertrag zwischen zwei oder mehreren Personen, der den Nachlass von mindestens einer von ihnen zum Gegenstand hat. Mit einem solchen Vertrag kann der Erblasser mit Zustimmung aller seiner Erben unbegrenzt frei über seinen Nachlass verfügen; ein pflichtteilsberechtigter Erbe kann sogar im Voraus auf jeden Anteil am künftigen Nachlass verzichten. Ein Erbvertrag ist jedoch ein starres Rechtsgeschäft, für dessen Widerruf oder Änderung in der Regel die Zustimmung aller Vertragspartner erforderlich ist. Ausserdem kann man nach Abschluss eines solchen Vertrags bestimmte Zuwendungen nicht mehr tätigen oder vorsehen, es sei denn, man hat sich diese Möglichkeit im Vertrag eindeutig vorbehalten. Es ist daher äusserst wichtig, sich von einem Spezialisten beraten zu lassen, um die für die jeweilige Situation am besten geeignete Lösung zu wählen.
Wenn die Erbfolge nicht testamentarisch geregelt ist und der Übernehmer innerhalb der Familie nicht über die Mittel verfügt, den Kaufpreis für die Unternehmensanteile zu zahlen, um die anderen pflichtteilsberechtigten Erben zu entschädigen, kann dies zu Schwierigkeiten führen und schliesslich in der Liquidation des Unternehmens enden. Der Entwurf des Bundesrates vom 10. Juni 2022 für eine Revision des Zivilgesetzbuches, mit der die Übertragung von Unternehmen durch Erbschaft erleichtert werden sollte, ist gescheitert, nachdem der Ständerat am 15. Juni nicht auf die Vorlage eingetreten ist. In jedem Fall wird kein Gesetz eine sorgfältig vorbereitete Unternehmensübertragung ersetzen können. Um menschlich und wirtschaftlich dramatische Situationen so weit wie möglich zu vermeiden, ist es daher unerlässlich, die Nachfolge Ihres Unternehmens zu antizipieren und mit einem Spezialisten zu organisieren.
Das neue Recht gibt mehr Freiheit bei der Nachlassplanung und der Begünstigung des Erbberechtigten seiner Wahl, sofern dies jedoch in einer gültigen Verfügung vorgesehen ist. Personen, die vor dem 1. Januar 2023 ein Testament oder einen Erbvertrag errichtet haben, wird daher empfohlen, diese zu aktualisieren und an das neue Recht anzupassen. Es wird empfohlen, die Angehörigen nach Möglichkeit in das Planungsprojekt einzubeziehen, um die von ihnen zu unternehmenden Schritte zu erleichtern und möglichen Konflikten vorzubeugen, die nach dem Tod entstehen könnten. Bei Kommunikationsschwierigkeiten und Spannungen in der Familie kann eine Mediation dazu beitragen, einen konstruktiven Dialog in einem beruhigten Raum wieder aufzunehmen, um zu Lösungen zu gelangen, die den Bedürfnissen aller Beteiligten so nahe wie möglich kommen.