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«Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges». Dieser vom britischen Politiker Philip Snowden (1864-1937) geprägte Satz fasst die Haltung der Mainstream-Medien in Zeiten bewaffneter Konflikte oder grosser gesellschaftlicher Krisen zusammen. Die Suche nach der Wahrheit wird oft zugunsten der nationalen Einheit oder der Verteidigung von Staatsinteressen geopfert. Die Schweiz ist von bewaffneten Konflikten relativ verschont geblieben. In bestimmten kritischen Momenten ihrer jüngeren Geschichte musste sie sich jedoch gegen psychologische Offensiven ihrer grösseren europäischen Nachbarn verteidigen. Dies war insbesondere während des Zweiten Weltkriegs der Fall, als die Eidgenossenschaft Strategien der «geistigen Landesverteidigung» anwandte, um die Bevölkerung vor dem Ansturm der faschistischen und kommunistischen Ideologien zu schützen. In diesem Zusammenhang musste die Schweiz ihrer Neutralität Glaubwürdigkeit verleihen und gleichzeitig ihren Willen zur Verteidigung bekräftigen. Der Bundesrat hielt daher eine heikle Balance zwischen einer reservierten Haltung gegenüber Deutschland und der Wahrung seiner Souveränität, einschliesslich des Rechts auf freie Meinungsäusserung, das seit 1848 in der Schweizer Verfassung verankert war.
Mit dem Kriegseintritt Italiens und der Niederlage Frankreichs im Juni 1940 war die Schweiz praktisch von deutschen Truppen umgeben. Das Dritte Reich führte einen regelrechten «Zeitungskrieg» gegen die Schweiz. «Jede unliebsame Bemerkung einer Schweizer Zeitung konnte als Vorwand für politische, wirtschaftliche oder militärische Erpressung benutzt werden», schreibt der Historiker Werner Rings in seinem Buch La Suisse et la guerre 1933-1945 (Lausanne, 1975). Die Hauptbeschwerde der deutschen Führer bezog sich auf das Prinzip der Neutralität, das nach Ansicht Berlins nicht nur den Staat, sondern jeden Bürger und damit auch die Presse betraf. Der Bundesrat hatte sich stets geweigert, eine strenge Medienzensur einzuführen, weil sich das Land offiziell nicht im Krieg befand. «Im Prinzip und gemäss den demokratischen Vorstellungen, die wir gegenüber Deutschland durchsetzen wollten, blieb die Schweizer Presse frei. Deshalb wurde die Zensur, ausser in Fällen von Bestrafung, erst nach der Veröffentlichung angewandt: ein Akt des Vertrauens in das Verantwortungsbewusstsein der Journalisten, würden die einen sagen, eine List der Behörden, die sich bewusst waren, dass die Selbstzensur noch härter sein würde als das präventive Eingreifen, würden die anderen sagen», schreibt der Historiker André Lasserre in seinem Buch La Suisse des années sombres, courant d'opinion pendant la Deuxième Guerre mondiale 1939-1945 (Lausanne, 1989).
Seit März 1934 erlaubte ein Erlass dem Bundesrat jedoch, Organe zu verwarnen und sogar zu suspendieren, die die guten Beziehungen zu anderen Staaten gefährden würden. Ein Regime der «Freiheit unter Aufsicht» wurde auch durch die Bundesbeschlüsse vom 8. September 1939 und 30. Mai 1940 eingeführt. Ziel war es, dass sich die Journalisten «ihrer Verantwortung bewusst sind» und «ihre Urteilsfreiheit in internationalen Angelegenheiten einschränken, um das Prinzip der Neutralität zu wahren und gute Beziehungen zu allen Kriegsparteien zu pflegen». Um sicherzustellen, dass die Journalisten die Anweisungen des Bundesrates befolgten, wurde eine Aufsicht durch die Presse- und Rundfunkabteilung (DPR) eingerichtet, ein militärisches Organ, das dem Generalstab unterstellt war (aber ab September 1940 von der Exekutive kontrolliert wurde). Die DPR sah bestimmte Sanktionen vor, wenn die übermittelten Informationen die Sicherheit des Landes gefährdeten oder seine Neutralität untergruben. Wie die Historikerin Francine Edelstein in ihrem Artikel La presse suisse pendant la Seconde Guerre mondiale face à la Shoah aufzeigt, trafen diese Sanktionen vor allem die sozialistische Presse, die es nicht versäumte, sich Gehör zu verschaffen. Während des Krieges wurde die streng kontrollierte linke Tageszeitung «La Sentinelle» drei grossen Zensurmassnahmen unterworfen (Aussetzung der Ausgabe für einige Tage und dies bis zu einer Woche), weil sie ihre Leser «in einem aktiv feindlichen Geisteszustand gegenüber der Achse und Frankreich» gehalten hatte.
Im September 1940 äusserte sich Jean Rubattel, Präsident des Schweizerischen Presseverbandes, zu diesen Einschränkungen betreffend den Medien: «Wenn wir rigorose Massnahmen ergriffen haben, dann deshalb, weil wir nicht wollten, dass die patriotischen Entbehrungen der Mehrheit der Schweizer Journalisten durch Disziplinlosigkeit und Rücksichtslosigkeit einiger weniger Journalisten oder durch Leute, denen das Schicksal unseres Landes gleichgültig ist, auf ein Nichts reduziert werden. Die Presse im Dienste des Landes ist unsere Parole. Aber täuschen wir uns nicht: Wir haben auch gewusst, wo die Grenze der moralischen Kapitulation oder Gedankenfreiheit liegt». So wurden trotz der Kontrolle der Presse durch die Bundesbehörden bestimmte Verbrechen der Nazis von den Schweizer Zeitungen weithin bekannt gemacht. Dies war zum Beispiel der Fall bei der Vél d'Hiv-Razzia im Juli 1942, als 8’160 Juden im Vélodrome d'Hiver in Paris eingesperrt wurden, bevor sie nach Deutschland deportiert wurden.
Der Schweizerische Rundfunk (SSR), der betroffener war als die Presse und damit leichter beeinflussbar, wurde im August 1939 dem Eidgenössischen Post- und Kommunikationsdepartement unterstellt. Um die Bevölkerung von den deutschen Sendern abzulenken, wurden drei, später vier, tägliche Nachrichtenbulletins gesendet. In ihrer Strategie der «geistigen Landesverteidigung» agierten die Bundesbehörden nicht nur mit den Medien. Sie benutzten die Einheit Army and Home (AF). Ursprünglich eine «bewaffnete» Sektion von Pro Helvetia und von der DPR gesponsert. Im September 1939 nahm die AF ihre endgültige Form an. Ihre Aufgabe war es, «das patriotische Ideal zu stärken, den Verteidigungswillen zu fördern, die Bindungen zwischen den Soldaten und dem Land zu stärken und die Mobilisierten zu unterhalten und geistig zu entwickeln» Zu diesem Zweck organisierte die Einheit staatsbürgerliche Schulungen, Informationsveranstaltungen, Konferenzen und Vorträge zu allen möglichen Themen, mit dem Ziel, «eine Vision der Landesverteidigung zu schaffen, die gleich mit dem moralischen und geistigen Wiederaufbau unserer Heimat einher geht», so die Worte von Feldwebel Mottu, der für den Konferenzdienst der französischsprachigen Truppen verantwortlich war.
Ursprünglich, ausschliesslich den Soldaten gewidmet, entwickelte Armée et Foyer nach der Niederlage Frankreichs im Juni 1940 seine Aktivitäten auch unter der Zivilbevölkerung. Der Generalstab befürchtete einen allgemeinen Verfall der zivilen Moral, der die Mobilisierten anstecken könnte. Sie wollte auch das Volk darauf vorbereiten, die Strategie der Nationalen Reduktion zu akzeptieren, ohne das System öffentlich zu verraten. Die Information stand also im Mittelpunkt der Aktion. Es war notwendig, diskret mit einem grossen und breit gefächerten Publikum in mündlichen Kontakt zu treten. Das war die Rolle der Konferenzen, dieses «uneheliche Kind der Zensur», wie sie in AF-Kreisen genannt wurden.
Zwischen 150 und 200 Personen aus allen Gesellschaftsschichten wurden ebenfalls zu Vorträgen eingeladen. Sie erhielten Informationen zu aktuellen Themen, vorgetragen von Fachleuten aus der Verwaltung, von Zivildienstleistenden oder ehrenamtlichen Referenten. Von den Rednern wurde erwartet, «Fakten zu erzählen, Probleme zu analysieren und Gründe für Handlungen zu geben, aber niemals direkt oder indirekt politische Annahmen zu präsentieren.» Ein Marschbefehl und eine Entlohnung machten die Einberufung ernster und zwangen die Arbeitgeber, Urlaub zu geben. «Mit solchen Instruktionen, hatten diese vertrauenswürdigen Menschen die Aufgabe, ihren Umkreis entsprechend zu informieren, gegen falsche Gerüchte [wir würden heute Fake News sagen] anzukämpfen, Vertrauen zu schaffen. Die Kurse und Quellen mussten geheim bleiben, die Verbreitung diskret», schreibt André Lasserre in seinem Buch. Von Juli 1941 bis 1945 wurden 628 Kurse organisiert, die 100’334 Menschen zusammenbrachten, zusätzlich zu den 2’523 isolierten Konferenzen, die an 348’337 Zuhörer gerichtet waren.
Ab 1943 schwächte sich der von Deutschland ausgeübte Druck auf die Schweizer Presse ab. In Stalingrad wurden die Armeen des Reiches besiegt, was einen Wendepunkt im Krieg markierte. Die Propaganda der Alliierten war im Allgemeinen schwächer als die der Achsenmächte, aber nicht inexistent. So griff der von der BBC übernommene Geheimsender «Atlantic» im Herbst 1943 Firmen an, die mit dem Reich Handel trieben, und drohte, sie auf eine schwarze Liste zu setzen. Drei Sektoren wurden angeprangert: Kunstgalerien, die mit gestohlenen Gemälden handelten, die Rüstungs- und Präzisionsindustrie, die die deutschen Kriegsanstrengungen förderte, und Elektrounternehmen, die Strom exportierten.
Ab Juni 1944 wurde die Zensur deutlich gelockert, ausser in Angelegenheiten der militärischen Geheimhaltung. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Rahmenbedingungen bereits geändert. Das ins Stocken geratene Reich war nicht mehr der einzige Feind, den es zu bekämpfen galt. Ein Grossteil der Bevölkerung suchte Inspiration in der UdSSR, die so effektiv gegen die deutsche Armee kämpfte. Wer war nun der «Anti-Schweizer»? Wie sollte sich das Land im Verhältnis zu den USA positionieren und welche Richtung sollte es in Zukunft einschlagen ? Dies waren Fragen, die Army and Home, ein Agent der psychologischen Verteidigung, aber kein Indoktrinations- oder ideologisches Prognosebüro, nicht beantworten konnte. Im September 1945 wurde die Einheit deshalb aufgelöst. 1957 wurde sie nochmals ins Leben gerufen, jedoch ausschliesslich zur Nutzung der Armee. Nach dem Krieg musste die Schweiz ihren Platz im Kreis der Nationen und ihre Neutralitätspolitik neu definieren. Sie stärkte ihren Ruf als Zuwanderungsland für Asylsuchende und als humanitäres Land und verbarg somit ihre weniger glanzvollen Praktiken während des Weltkonflikts, sei es in Bezug auf Einwanderung oder finanzielle Vereinbarungen.
Martin Bernard