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Olivia Boa-Belkacem, zweifache französische Fullcontact-Meisterin in den frühen 2000er Jahren, hat den Sport zur treibenden Kraft ihres Lebens gemacht. Als Malerin, Businessfrau, Modedesignerin und ehemaliges Model kämpft die zugezogene Freiburgerin dieses Jahr um den europäischen Titel! Ein Höhepunkt, bevor sie ihre Handschuhe wieder niederlegt.
«Ich war 9 Jahre alt, als ich meine Affinitäten zum Boxsport entdeckte, meine Mutter war jedoch strikt dagegen, mit dem Argument, es sei kein Sport für Mädchen!» Der erste Strich ihres Lebensbildes ist gesetzt! Das nennt man Entschlossenheit! Diese Idee wird die junge Olivia nie verlassen. Sie erinnert sich auch gerne an eine andere Anekdote im Zusammenhang mit dem Boxen: «Mit 18 brauchte ich keine elterliche Zustimmung mehr. Nach zwei Jahren im Modellbusiness, das ich mit 16 Jahren begonnen hatte, und mehreren Aufenthalten in Paris und Mailand, ging ich bei mir Zuhause in ein Boxstudio. Sobald ich zur Tür hereinkam, sagte mir der Trainer sogleich der Fitnessraum befinde sich oben! In anderen Worten, nichts war im Voraus gewonnen!»
So schön, charmant und strahlend Olivia auch war, sehr rasch musste sie auf die Modewelt verzichten: «Nur einmal bin ich in der Endphase eines Castings für ein bekanntes Label mit einem blauen Auge erschienen… Mein Manager war ausser sich vor Wut und stellte mich vor die Wahl. Ich habe mich für das Boxen entschieden!» Eine Entscheidung, die sie nie bereuen wird und die sie zu zwei französischen Fullcontact-Titeln führte: «Mein Leben kam in Fahrt. Ich verliess Frankreich für die Schweiz, wo ich meinen zukünftigen Ehemann, Mohamed Belkacem, ebenfalls ein Profiboxer, kennenlernte!»
An seiner Seite gewann sie 9 von 10 Boxkämpfen, eine einzige Niederlage im Jahre 2011. Ein Kampf um den Weltmeistertitel, aus dem sie mit einem doppelten Kieferbruch herausgehen wird: «Es ist weniger die Niederlage, die mir im Hals stecken bleibt, sondern vielmehr die Inkompetenz des Chirurgen, der mich im Krankenhaus in Marseille operiert hat! Er brach den Zahnbohrer in meinem Kiefer und nähte ihn zu, als ob nichts passiert wäre…» Eine Operation, die nicht ohne Folgen blieb. Eine Infektion und zahlreiche weitere Operationen, die die Karriere der Boxerin in den Hintergrund stellten.
Nach diesem abrupten Wettkampf-Unterbruch griff sie zu Stift und Papier um ihre zweite Karriere zu skizzieren und weitere Lebensabschnitte zu bemalen. Im 2012 brachte sie ihr drittes Kind zur Welt, Soltan, der mit einem neurologischen Defizit, einem schweren Hirnschaden und einer genetischen Pathologie geboren wurde. Sehr stark in seiner Sehkraft betroffen und eingeschränkt, leidet er unter epileptischen Anfällen und wird regelmässig ins Krankenhaus eingewiesen: «Soltan ist ein wunderbarer Junge, der mich dazu gebracht hat, über mich selbst hinauszuwachsen». erklärt die vierfache Mutter: «Mit Mohamed haben wir beschlossen, dies gemeinsam anzugehen! Er beendete seine Karriere als Profiboxer, um sich diesem zweiten Kampf zu widmen. Um bei seinen Kindern und Soltan zu sein, der uns täglich brauchte. Ich wollte Lösungen finden, um sein Leiden zu lindern». Daraus entstand die Idee der binauralen Klangtherapie und Olivia schuf das Boa-Projekt, mit Kunst und Neurologie als Grundlage: «Dieses Projekt beinhaltet, dass in jedem Ohr Musik erklingt, jedoch mit einer unterschiedlichen Frequenz. Trotz der umstrittenen Studien, habe ich dieses Projekt weiter entwickelt. Ich habe ein spezielles Headset erstellt und die Auswirkungen auf Soltan waren sofort erkennbar».
Später entwickelte die zugezogene Freiburgerin das COB-Prinzip (Cinétique Oculaire Boa), eine visuelle Technik, die auf der Bewegung des Auges auf ihren spezifischen, gepixelt gemalten Werken basiert und auf die Gehirnströme wirkt. Im gleichen Atemzug entwickelt sie als Boudouma (ihr Mädchenname) und Belkacem (ihr Ehename) eine Kollektion für Sportbekleidung «2B». 2B bedeutet übersetzt «sein». Eine Kollektion mit ihren Bildern aufgedruckt. Das nutzt sie, um ihre Firma Boa Creations zu gründen: «Niemals hätte ich zum Zeitpunkt meines Unfalls 2011 und nach der Geburt von Soltan gedacht, dass ich so weit gehen würde. Das alles hat mir Kraft gegeben und den Wunsch, meinem Leben einen neuen Sinn zu geben. Das Boxen hat mich gelehrt, niemals aufzugeben. Es ist eine Philosophie, die mich nie verlassen hat» An Ideen mangelt es der Freiburgerin nie, sie hat sogar schon Boxhandschuhe entworfen: «Diese Handschuhe sind aus einem speziellen Schaum, der die Gelenke des Boxers schont. Sie schützen auch die Sparringpartner während der Trainingseinheiten. Die Schläge sind zwar immer noch stark, aber sie werden durch den Aufprall absorbiert und sind weniger schädlich. Sie sind bereits im Verkauf, ich bin mitten in den Marketingaktivitäten». Unterstützt von einigen Unternehmen wie dem orangen Riesen, der ihre Papeterieartikel verkauft, die sich auf das Prinzip der Augenkinetik stützen, läuft Olivia Boa der Zeit hinterher, um ihr Business weiter zu entwickeln.
Und wo bleibt das Boxen? Olivia Boa-Belkacem hat es nie aus den Augen verloren, der Boxsport schwirrt in ihrem Hinterkopf und in ihrem Herzen. 2019, im Alter von 37 Jahren, gelang ihr ein unglaubliches Comeback: «Ich habe meine jahrelangen Schweissperlen in den Ringen nie vergessen. Damals habe ich fast 12 Stunden pro Woche trainiert. Es war ein grosser Teil meines Lebens. Mit der Geburt von Soltan haben sich meine Prioritäten jedoch geändert. Ich habe trotzdem weiter mit meinem Mann trainiert. Um dieses Kapitel endgültig abzuschliessen, musste ich wieder in den Ring steigen und mich auf angemessene Weise von der Öffentlichkeit verabschieden». Eine Tour, die eine andere Richtung einschlagen wird als erwartet. Als Siegerin von 2 Wettkämpfen, die 2019 ausgetragen wurden, erhält sie eine Einladung als offizielle Challenger für den Europatitel im Weltergewicht (unter 66 kg): «Als 12. der Weltrangliste hätte ich eigentlich nicht mitmachen sollen, denn für eine Teilnahme muss man unter den Top 10 sein».
Eine Neugestaltung der Weltrangliste ermöglichte es Olivia Boa schlussendlich, wieder auf dem 9. Platz zu landen und somit in diesem Jahr einen letzten Kampf zu bestreiten, bei dem der kontinentale Titel auf dem Spiel steht! Eigentlich hätte gegen Ornella Domini aus Genf in einem 100%igen Schweizer Kampf antreten sollen. Neu wird sie gegen eine belgische Boxerin antreten, vierfache Weltmeisterin und in 18 Kämpfen ungeschlagen: «Es wird ein intensiver und schwieriger Kampf, aber ich werde bereit sein!» gibt die Freiburger Boxerin zuversichtlich preis.
Und wie um diesem Comeback ins Business Bedeutung zu verleihen, zitiert Olivia Boa-Belkacem gerne Clint Eastwoods Film «Million Dollar Baby» als Referenz: «Es ist sicherlich ein dramatischer Film, jedoch ermöglichte er dem Frauenboxen, 2004 aus dem Schatten zu treten. Clint Eastwood sendet in diesem vierfach Oscar-prämierten Film mehrere Botschaften aus. Es mag keine Ursache und Wirkung geben, aber 2012 hat das IOC endlich das Frauenboxen in seine Wettkampfliste aufgenommen. Es war an der Zeit. Und als kleine Anekdote, ein befreundeter Fotograf, Stef Stemutz, nennt mich Million Dollar Boa». (lacht). Auf ihrem Lebensweg, ihre bunten Pinsel als willkommene Ablenkung, blickt Olivia Boa-Belkacem nur selten zurück: «Nur um mich an meine Lebensreise zu erinnern, ohne jemals in den schwierigen Momenten zu verweilen, die am Ende nur Positives hervorgebracht haben». Hoffen wir, dass ihr letzter Kampf im Ring gemäss ihren Wünschen verläuft: «Abgesehen vom Resultat wäre es wunderbar, all jenen etwas zu bieten, die Boxen und Qualitätskämpfe lieben. Um endlich eine der schönsten Seiten meiner persönlichen Lebensgeschichte umblättern zu können». schliess Olivia Boa.
Business woman: Boa Creations & Innovations SA www.projetboa.com Die Künstlerin: www.artworksboa.com
Laurent Bastardoz