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Ein Fest unter der Kuppel War das jedes Mal ein Fest, wenn der Circus Knie in die Stadt kam. Bei uns war das stets im Hochsommer während der Sommerferien. Heute zeigt er zwar keine Löwen, Elefanten und andere Wildtiere mehr, aber auch ein Jahr nach dem 100-Jahre- Jubiläum begeistert er das Publikum in der ganzen Schweiz mit Zirkuskunst auf höchsten Niveau.
Neben Silvester und dem 1. August gab es einen dritten Abend im Jahr, an dem ich als junger Teenager bis spät in die Nacht aufbleiben durfte: Wenn ich zusammen mit meinen beiden Ge- schwistern und mit den Eltern die Abendvorstellung des Circus Knie besuchte. Wir sassen meistens im hinteren Teil des Zeltes, auf den «billigen Plätzen», und als kleiner Knirps sah ich nie alles, was in der Manege passierte. Erstens war mir die Sicht oft versperrt, zweitens gab es unter dem riesigen Zeltdach so viel zu sehen, was meine Aufmerksamkeit auf sich zog: die vielen Leute rings um mich, hoch oben im Zeltdach die Vorrichtungen für die Trapez-Akrobaten und das Sicherheitsgestänge für die Raubtiernummer, bei den Eingän- gen die nordafrikanischen Platzanweiser und die herumwieselnden Clowns – allen voran «Knieli» der kleinwüchsige Star unter all den fremden Zirkusleuten.
Tempi passati. «Knieli» ist vor rund zwei Jahren verstorben, Raubtiernummern gibt es längst nicht mehr, und auch die kleine Elefantenherde, auf die wir uns Jahr für Jahr freuten, bleibt unterdessen im Kinderzoo von Rapperswil, der Heimstätte von Knie, und zieht nicht mehr durch die Regionen der Schweiz. Das Tierwohl wird heute anders gewichtet als früher, obwohl sich der Circus Knie in all den Jahrzehnten vorbildlich um seine Tiere kümmerte. Doch dem Reisestress in kleinen Zirkuswagen werden Löwen, Tiger, Elefanten und andere grosse Wildtiere nicht mehr ausgesetzt.
Im Grundsatz änderte sich aber nichts. Der «Knie» ist und bleibt der «Knie» – unser «Schweizer National-Circus». Das hat er letztes Jahr auf seiner Jubiläumstournee zum 100-Jahre-Jubiläum eindrücklich bewiesen. Mit seinem Zelt ohne Stangen, das jedem Zuschauer einen ungehinderten Blick in die Manege ermöglicht, begeisterte er mit 337 ausverkauften Vorstellungen in 33 Städten das Publikum. Preisgekrönte Artisten und Clowns aus der ganzen Welt sorgten für Zirkus-Unterhaltung – ein Feuerwerk aus Akrobatik, Nervenkitzel und Emotionen. Mit an Bord waren auf der Jubiläumstournee auch die Sängerin Nubya sowie die beiden Deutschschweizer TV-Stars Viktor Giacobbo und Mike Müller.
Für Fredy Knie jun. war die Jubiläumstournee – und vor allem die Schlussvorstellung in Rapperswil – eine emotionale Angelegenheit. Es war seine letzte Vorstellung in der Manege. Der 73-Jährige nahm Abschied als Direktor (seit 1992) und Artist (er war schon seit 1951 auf Schweizer Tournee) – die Verantwortung übernimmt seine Tochter Géraldine Knie. Ein bewegender Moment für die neue Direktorin und ihre Kinder Ivan, Chanel und Maycol jun.: «Mein Vater hat uns in all den Jahren vor und hinter den Kulissen begleitet – für mich ist er die Liebe in Person.
Ich spüre ihm gegenüber eine tiefe Dankbarkeit, was er für mich, seine Grosskinder und das Unternehmen gemacht hat. Ich bin sehr froh, dass er weiter im Hintergrund mit uns arbeiten und für uns da sein wird.» Die Verantwortung ist gross. Während einer Tournee beschäftigt der Circus Knie mehr als 250 Mitarbeitende. Der Tierbestand im Zirkus beläuft sich auf über 80 Tiere; in Knies Kinderzoo sind es rund 350 Tiere.
100 Jahre Circus Knie? Eigentlich begann die Geschichte schon viel früher. Die Dynastie Knie, 1803 von Friedrich Knie ins Leben gerufen, gehört seit über 200 Jahren zu den Zirkusunternehmen Europas. In diesem Jahr 1803 verliebte sich der Medizinstudent Friedrich Knie in die Kunstreiterin Wilma. Die Liebe zerbrach – nicht aber die Leidenschaft für das Artistenleben: Friedrich gründete ein Seiltänzer- und Künstlerunternehmen. Jahrzehntelang zogen Friedrich – und später seine Nachkommen – mit einer Arena durch Deutschland, Österreich und 1814 erstmals durch die Schweiz.
Erst 1919, fast 100 Jahre später, konnte sich die Familie Knie einen grossen Wunsch erfüllen: ein Zirkuszelt. Im selben Jahr wurde auch das erste Winterquartier in Rapperswil errichtet und der Begriff «Schweizer National Circus» definiert. 1919 gilt darum als offizielles Gründungsjahr des Zirkus- Unternehmens. Darum die grosse Jubiläumstour 2019.
Bereits 1926 war der Circus Knie mit über 80 eigenen Wohn-, Transport-, Menagerie- und Bürowagen auf Tournee. 1992 über- nahmen Fredy jun. und Franco sen. die artistische und technische Direktion. Franco Knie ist seit 2014 nicht mehr mit dem Zirkus unterwegs – er kümmert sich um den Kinderzoo und den Elefantenpark «Himmapan» mit dem dazugehörigen Thai-Restaurant «Himmapan Lodge». Mit Géraldine, Franco jun. und Doris leitet heute die 7. Generation den Circus Knie – mit Ivan Frédéric, Chris Rui, Chanel Marie und Maycol jun. steht zudem schon die 8. Generation (fast) in den Startlöchern.
Nachdem man ab 2004 auf den Auftritt von Wildtieren verzichtet, werden heute Nummern mit Pferden, Po- nys, Schweinen und Papageien gezeigt. Früher dekorierte man die Zirkuspferde mit Troddeln und Franzen – was es bei Knie schon lange nicht mehr gibt, wie Fredy Knie bestätigt: «Wir präsentieren die Tiere in ihrer natürlichen Schönheit. Sie machen nur Bewegungen, die sie in der Natur auch machen würden.»
Die neue Knie-Tournee endet am 22. November in Lugano. Neben unvergleichlicher Akrobatik und weltberühmten Tiernummern – Nervenkitzel, Hochspannung und Genuss – bringen Ursus & Na- deschkin die Zuschauer zum Lachen. In der Westschweiz ergänzt Peter Shub, einer der lautesten visuellen Comedians der Welt, das Programm. Und die Familie Knie überrascht mit einem neuen Trend: Der deutsche Circus Flic Flac, an Innovation und Action kaum zu übertreffen, ist mit seiner Motorrad-Akrobatik ein Teil der neuen Tournee.